In der vergangenen Woche stellte die Europäische Kommission ihren neuen Entwurf für einen EU-Migrationspakt vor, der den ewigen Streit der EU-Mitgliedsstaaten über die Aufnahme von Geflüchteten beenden soll. Der Entwurf stellt einen schweren Einschnitt für die Unterstützung Geflüchteter dar, da er darauf abzielt, Abschiebungen weiter zu normalisieren und zu intensivieren. Doch zunächst zum Inhalt:
Zukünftig soll es an den europäischen Außengrenzen umfangreichere Vorprüfungen geben. Dies soll dazu dienen, Geflüchtete, die aus Ländern mit geringer Anerkennungsrate kommen, in einem bis zu zwölfwöchigen schnellen Grenzverfahren zu behandeln.
Anstelle verpflichtender Umverteilungen soll es zukünftig finanzielle Anreize für die Aufnahme Geflüchteter geben, d.h. dass Länder die Geflüchtete aus anderen Mitgliedsstaaten übernehmen, dafür aus einem gemeinsamen Budget Gelder erhalten. In normalen Zeiten ist die Unterstützung bei der Aufnahme Geflüchteter freiwillig. Kommt es allerdings zu einer Krisensituation, in der ein Land überdurchschnittlich viele Geflüchtete aufnimmt, kann dies einen sogenannten Mechanismus für verpflichtende Solidarität auslösen. In diesem Moment müssen die anderen EU-Mitgliedsstaaten dem Land helfen, indem sie entweder Geflüchtete aufnehmen, beim Migrationsmanagement unterstützen oder sogenannte „Abschiebepartnerschaften“ eingehen. Bei diesem Prozess übernimmt ein EU-Land die Rückführung einer bestimmten Anzahl abgelehnter Asylberwerber*innen in einem anderen Land (https://www.tagesschau.de/ausland/eu-asylpakt-101.html). Dazu soll ein europäischer „Rückführungskoordinator“ ernannt sowie der Einsatz von Frontex für Abschiebungen intensiviert werden.
An den Dublin-Regeln wird grundsätzlich festgehalten, zukünftig sollen aber auch andere Kriterien, wie z.B. Familienzusammenführungen eine Rolle spielen. Es werden zudem Empfehlungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren bei der Seenotrettung erlassen, wobei Frontex überwachen soll, ob Grund- und Menschenrechte an den EU-Außengrenzen respektiert werden.
Der Migrationspakt präsentiert sich solidarisch, zielt aber vor allem darauf ab, Geflüchteten den Zugang nach Europa zu versperren. Er stellt eine erneute Diskursverschiebung dar, indem der Solidaritätsbegriff nun mit Abschiebepolitik verknüpft wird. Zukünftig gilt in der Europäischen Union als „solidarisch“, wer andere Länder bei der Abschiebung unterstützt. Der Begriff „Abschiebepatenschaften“ ist ein trauriges Zeugnis davon. Ein solches Vokabular zielt darauf ab, Geflüchtete zu entmenschlichen, zu verdinglichen und ein Vorgehen zu rechtfertigen, welches Menschen wie Waren hin- und herschiebt. Fraglich ist auch, wie sich diese „Abschiebepatenschaften“ konkret gestalten sollen. Werden die Regierungen der Länder an den Außengrenzen Europas zukünftig noch finanzielle Unterstützung für die Errichtung neuer Abschiebelager und zusätzlicher repressiver Organe bekommen? Werden die Lorbeeren für ein „gutes“ Migrationsmanagement künftig denen verliehen, die besonders konsequent abschieben?
Der neue Vorschlag für einen Migrationspakt kommt nicht ohne Absurditäten daher. So etwa das Amt des „Rückführungskoordinators“, welches die Abschiebungsbehörden auch auf supranationaler Ebene etabliert. Und ausgerechnet Frontex soll zukünftig die Wahrung der Menschenrechte überwachen? Die Organisation, die vor noch nicht allzu langer Zeit, bei Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten (etwa in Ungarn und Bulgarien) beide Augen zudrückte (vgl. https://correctiv.org/top-stories/2019/08/04/frontex-transparenz/ )?
Es ist nicht verwunderlich, dass die Idee für den Migrationspakt von deutscher Seite kommt. Mit Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin und dem deutschen Vorsitz im Rat der Europäischen Union, scheint der Zeitpunkt für ein Projekt, welches die deutschen Interessen stärkt, gut gewählt. Doch gerade, weil das Projekt von deutscher Seite kommt, ist die Zivilgesellschaft nun besonders gefragt, diesem Entwurf, der die Festung Europa verstärkt und der die Entmenschlichung Geflüchteter vorantreibt, entschlossen entgegenzutreten. Wir werden nicht tatenlos zuschauen, während Abschiebungen als solidarischer Akt und als Dienst an der europäischen Wertegemeinschaft verkauft werden.
Kein Mensch ist illegal! Bleiberecht überall!